Bericht über unsere Vertreibung aus Görkau im Jahre 1946.
Auszug aus dem Tagebuch von Otto Mann, geboren 1921 in Kallich, gestorben 1973 in Montabaur

Vorbemerkung

Das hier veröffentlichte Kapitel aus dem Tagebuch von Otto Mann beginnt im März 1946. Die Zeit der wilden Vertreibungen, des brutalen Schlagens, Quälens und wüsten Mordens war da bereits vorbei. Es handelte sich hier also bereits um einen geordneten "Transfer" oder eine "Umsiedlung", wie es im offiziellen Sprachgebrauch in Polen oder Tschechien immer noch heißt. Heute werden solche Unmenschlichkeiten im Großmaßstab zutreffender als ethnische Säuberungen bezeichnet.

Görkau, 16. März 1946
Wie vergingen die nächsten Tage und Wochen? Von baldiger Evakuierung wurde in unserem Heimatgebiet geredet. Antragsformulare für baldige Evakuierung, 5 Kronen das Stück, konnten in der Spravni komise (Verwaltung) zum Ausfüllen abgeholt werden. U.a. wurde in diesen Bogen gefragt, wohin man wolle, in welche Zone -- auch unter Anschrift von Verwandten. Richter Leos Eltern gaben sofort einen ausgefüllten Bogen ab. Wir schoben es wegen Papas Beinbruch noch auf.

Ich ging meiner bisherigen Beschäftigung mit Aschefahren, Friedhofsarbeiten u.a. weiterhin nach. Geringer Verdienst, Essen auch minimal, viel geringer als bei den Herren Tschechen. Bei denen fehlte es an nichts! Unsere weiße Armbinde, die wir bisher immer links zu tragen hatten, mußte nun, 10 cm breit mit Stempel des Arbeitgebers, auf dem rechten Oberarm getragen werden. Immer noch fingen Svoboda-Truppen - in der Volksschule untergebracht - Leute mit Armbinden, besonders Frauen, zu Arbeiten von der Straße ab.

Sládek, unser Chef, wurde inzwischen versetzt. Ein recht verdrießlicher Tscheche, der sich als Baumeister ausgab und von Pilsen kam, wurde unser neuer Chef. Er verdarb uns den Rest an Humor, den wir bis dahin noch hatten. Auch wurde der Verdienst (zuletzt 7,50 Kr. pro Std.) durch weitere 20% Abzug sehr gekürzt. Mit Papas Krankengeld wären wir überhaupt nicht ausgekommen.

Die Zeit war längst gekommen. Jeder wollte fort von hier, hinaus! Jeder wünschte sich nur eines, bald wieder freier zu leben - unter Deutschen. Jeder sehnte sich nach einer neuen Heimat.
Während dieser Zeit besuchte mich Ludwig (Ludi) Morgenstern. Bis zu seiner Evakuierung am 15. April gab er uns Englischunterricht.. Seine Freundin, die Kirsch Edith, beteiligte sich an diesem Unterricht, den wir in den Abendstunden bei uns abhielten. Von Ludi konnten wir sehr gut und auch vieles lernen! -- An einem Sonntagnachmittag tanzten wir bei uns auch nach Schallplatten. Dazu hatten wir noch die Trexler Tochter sowie Traudl und Irmhild (Ludis Schwestern) eingeladen. Zu allem fehlte halt der Ulk.

Ansonsten waren die Sonntage sehr langweilig! Plötzlich hieß es auch von Leo Abschied nehmen. Montag, der 15. April 1946, war der letzte Abend dann mit Leo. Er ließ mir noch gute Bücher zurück -- Brockhaus, Atlas, sonstige Berufsbücher und auch einen Duden. Bis zur Sperrstunde, die schon abends um 8 Uhr begann, konnte ich nur noch bei ihm sein. Am Mittwoch, bei Arbeitsantritt, erfuhr ich von Mikos (Ehrlich) Irene, daß die Hüttisch Martl, die seit Herbst bei den Tschechen dienen mußte, wieder bei Frau Drogistin Müller war.

Am Dienstag, den 16. April 1946 wurden 300 Görkauer, darunter Richter Leo und Morgenstern Ludi mit Familie Seifert aus der Wattefabrik u.a. in das Sammellager Poldihütte abtransportiert. Zuvor wurden sie aber im Hof des Hotels Roß durchsucht. Den Leuten wurde sehr viel weggenommen. Am Mittwoch, den 17. April brachte uns Herr Hüttisch die Nachricht von Bennos Aufenthaltsort. In Homberg bei Kassel sei er. Mittags konnte ich auch durch Herrn Hüttischs Besuch von Martls Rückkehr hören. Nur zu wenig! Ich ließ Martl grüßen!

Kurz nach Ludis und Leos Abreise machte ich mich über das schöne Buch von Leo her -- Zwei Menschen - von Voß. War sehr schön zu lesen.

Gegen Ende April gab unser "Paß auf" (Aufpasser) Herr Roeder seinen Dienst auf, weil er mit dem Transport der Antifaschisten fort wollte. Unter diesen waren auch unsere Hausbewohner Bartl, Roscher. Insgesamt 90 Familien. Aus einer sofortigen Ausreise wurde aber noch nichts.

Die wurde auf Ende Mai verschoben Die Herren mußten sich auch wieder nach Arbeit umsehen. Zimmermann übernahm nun ab 1.Mai Roeders Stelle.

Den 1. Mai verbrachte ich eisern auf der Stube. Nur morgens mußte ich mit John Alois, der aus dem KZ und Lazarett in Maltheuern entlassen wurde, Straßen nachfegen. Nachmittags schrieb ich einen Brief an M. Ob sie ihn erhalten hat, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich hat sie absichtlich nichts hören lassen oder sie ist schwarz fort.

Wieder machte unter uns Menschen mit der weißen Armbinde die Nachricht und damit die Hoffnung auf baldige Evakuierung die Runde. Des öfteren besuchten wir den Morgenstern Anton (Hutmacher), der auch aus seinem Wohnhaus am Kirchenplatz ins Enge Gassel übersiedeln mußte. Tatsächlich wurde ein zweiter Transport von Görkauern per Aushang bekannt gegeben, u.a. auch Morgenstern Anton, Reinelt (Flaschenbier), Ahne Fritz, Teichert Ludwig, Eberle. Das war am 9. und 14. Mai. Morgenstern Anton half ich noch, seine Sachen zum Roßhof zu bringen. Die Durchsuchung war erst im Lager.

Meine Beschäftigung in der Spravni komise (Verwaltung) änderte sich wieder. Zusammen mit Franz Opis hieß meine Aufgabe jetzt Straßenkanäle ausputzen. Brüxerstraße, Lindenstraße, Neupirken, Eisenberger Straße, Bahnhofstraße, Zeche und kleiner Teich. Während dessen wurde das Wasser der Schwimmschule abgelassen. Nach dem Kanalausputzen wurde ich auch mit zum Ausputzen der Schwimmschule gerufen. Bei dieser Beschäftigung wurde ich mit dem Chauffeur unseres Gemeindelastwagens uneins, weil ich ihm zum Abladen der Ablage nicht folgte. Wie wurde ich beschimpft von diesem Lump und seinen zwei tschechischen Beifahrern. In Wölmschloß mußte ich mit ihm schon früher einmal Sand holen, als er mich auch schon schikanierte. Noch bevor wir ausgewiesen wurden, mußte dieser Lump mit seinem Bruder, der den Jauchewagen führte, ins Gefängnis wandern. Das Ausputzen der Schwimmschule war auch meine letzte Arbeit bei der Gemeinde. Es war am Freitag, den 24. Mai vormittags, als mir Papa zum 9 Uhr Frühstück die Nachricht vom Abtransport brachte: "Wir sind dabei". Gleich mittags machten ich und Irene Mikos Schluß mit der Arbeit. Als ich am Sonnabend meinen Arbeitslohn holte, wurden viele sogar noch entlassen, die nicht für die Evakuierung bestimmt waren. Darunter Merten Prapetz und auch die Straßenfeger. Nur die, welche beim Ausmessen halfen: Härtl Herbert, Sklenar Walter, Rubick Ritschel und die zuletzt Asche fuhren, John Alois, Kunz Ernst, Rossmeisl Schneider der Kleine wurden behalten. Straßenfegen und andere Arbeiten verrichteten jetzt nur noch Frauen.

Schon am Montag, den 27. Mai 1946 mußten die für den Transport Bestimmten in der Brüxerstraße am Turnplatz erscheinen. 20 Waggons waren vorgesehen. Wir für Waggon 15. Blum für Waggon 11. Am 3. Juni sollte es schon in das Poldihüttenlager abgehen. Die Freude kam jedoch zu früh. Kurz nach dem Sammeln am Turnplatz wurde bekannt gegeben, daß der Transport erst am 11. Juni abgehen wird. Auch dabei blieb es nicht! Es lautete plötzlich: "Weitere Verschiebung bis auf Widerruf". Was nun anfangen, wenn kein Verdienst da ist und Geld gebraucht wird? Arbeit suchen und finden! Papa bekam nun auch kein Krankengeld mehr. Ich war nun ab morgens 6 Uhr beim Bahnhof mit Holzschlichten und Holzverladen im Waggon tätig. Dabei waren auch Gruß Nand (Ferdinand), auch sein Vater und sein Sohn, Optiker Franz Kühn, Wohlfahrt, Körner. Bis zum 29. Juni, dann war für uns die Ausweisung bestimmt. Drei Kronen bekamen wir für das Schlichten pro Kubikmeter. Sieben Kronen für das Verladen pro Kubikmeter. Papa verbrachte eine Woche in der Gärtnerei seines Verwalters.

Von Benno wußten wir nur durch einen Brief von Ernst Bradler. Sein Aufenthalt war im Lazarett Bad Salzschlirf. Benno habe Ernst im Lazarett in Fulda besucht. Mit diesem Brief vom Bradler Ernst wollten wir, wie es bei Vorlage von Briefen erlaubt war, einen Sack mit Kleidung für Benno richten. Weil wir ja nur 60 kg pro Kopf mitnehmen konnten. Geschirr eingerechnet.

Am Freitag, den 28. Juni mittags, als ich vom Holzladen am Bahnhof zum Essen ging, waren gerade die Evakuierungslisten für unseren Transport bei Wolfgang (ehemaliges Restaurant am Marktplatz) ausgehängt. Ich war sehr erfreut darüber. Im Hause war noch nichts bekannt. Mama wollte es mir auch nicht gleich glauben. Endlich naht diese lang ersehnte Stunde. Auch Sonnabend ging ich noch meiner Beschäftigung nach, die mir aber nicht bezahlt wurde. Das geliehene Buch vom Härtl Herbert -- "Soll und Haben" von Gustav Freitag geschrieben - das mir in diesen letzten Tagen noch Freude bereitete, brachte ich Herbert am Sonntag zurück, wo ich mich auch von ihm und seinen Eltern verabschiedete. Sonntagnachmittag wie auch am Montag wurde tüchtig gepackt. Vieles blieb noch zurück. Montag abends besuchte ich noch W. Annl, wo ich ihr das Photo mit einem Spruch zurück ließ. Jedoch war nur bis 9:00 Uhr Besuchszeit; es gab ja noch immer die bekannte Sperrstunde für Nemci. Am Dienstagmorgen, den 2. Juli rollten wir mit unseren 5 Säcken, Reisekorb und kleinem Korb ab zu den Versammelten im Hof des Hotels Roß. Alles hatten wir auf unseren großen Handwagen geladen. Frau Rosenkranz und Frau Guth mußten noch im Hause bleiben. Familie Guth und Führling gehen mit den Antifaschisten ab. In die Wohnung unserer ehemaligen Hausbesitzerin, wo auch Bartls wohnten, war Familie Türschmann eingezogen. Bartls alte Wohnung blieb unbewohnt. Familie Blum war schon in Komotau im Poldilager, als wir ankamen. Wir ließen uns im Roßhof noch viel Zeit und genossen für die restlichen Kronen das Görkauer Bier. Währendem kam eine schöne Überraschung. Ein Brieflein von unserem Benno aus Kirn vom 19. Juni.. Sein erstes Schreiben seit dem Umsturz. Er schrieb, daß er nun auch ein Lebenszeichen von uns erhalten habe. Es war wohl ein Brief, den wir Mann Friedl aus Neuhaus mitgegeben hatten. Er habe vor einem Jahr einen Patienten kennen gelernt, mit dem er in den Lazaretten immer wieder zusammen gekommen sei. Da Benno nun nicht wußte wohin, empfahl dieser Patient Benno seinem Schwiegervater, der sich bereit erklärte, ihn aufzunehmen. Die Leute seien sehr gastfreundlich. Auch für eine Arbeitsstelle habe sich Herr Staab, Bennos Beschützer, umgesehen. Als Meßgehilfe wurde Benno angenommen. Benno wollte in das Vermessungswesen. Seine Frage war: Was macht die Markensammlung?Noch einmal ging ich ins Haus zurück, auch um Frau Rosenkranz wegen der Sammlung Bescheid zu sagen.

Es war bereits 11 Uhr, als wir in einem LKW unser Städtchen Görkau verließen. Uns war schon alles gleich. Die Hauptsache war, daß wir wußten wo sich unser Benno aufhielt. Bei der Einfahrt ins Poldihütten-Lager konnten uns die böhmischen Soldaten nicht schnell genug vom Auto herunter haben und hätten es gerne gesehen, wenn vom Handgepäck ein Stück zurück geblieben wäre. Die Säcke und alles andere außer dem Handgepäck mußte noch am Wagen bleiben. Das Handgepäck durfte nicht mit einem Namen gekennzeichnet sein. Handgepäck mit Namen wurde von den Soldaten umgehend zurückbehalten. Anschließend mußten wir sogleich in ein Zimmer, wo sämtliche böhmischen Papiere, auch deutsche, vor allem aber sämtliche Sparbücher über Kronen und Reichsmark verlangt wurden. Niemand sollte Geld bei sich behalten! Wir gaben nur böhmische Papiere und die restlichen Kronen hin. Die Durchsuchungen fanden in anderen Räumen statt. In ein weiteres Zimmer mußten wir, wo die ärztlichen Untersuchungen (durch Dr. Steiner von Seestadtl) stattfinden sollten. Was gab es? Ein Streupulver erhielt jeder gegen Ungeziefer auf Kopf und Brust. Und im dritten Raum fand die Durchsuchung der Kleidung und des Handgepäcks statt. Der Anzug und die Taschen wurden durchsucht. Beim Handgepäck hatten wir Glück, wir rutschten durch. Nun konnten wir unsere Baracken aufsuchen. Frauen waren getrennt untergebracht. Was geschieht aber mit unseren anderen Sachen, die jetzt noch am freien Platz neben der Durchsuchungsstelle, d.h."der Räuberstelle" lagen? Schon beim Ankommen sagte uns Adolf, er habe Betten für uns freihalten können. - Nun aber wo? Totzauer Otto brachte uns in die Baracke. Eine große mit einem kleinen Nebenabteil, insgesamt 37 Mann fassend. Strohsäcke lagen am Fußboden längs der Seitenwände. Papa lag mit Onkel Adolf, kl. Adolf, Braun Willi, Kunert Heinrich, Springer Gustav, Siegert Ferd, Grohmann Franz sein Vater und Bruder, Spiegl Josef. Ich lag im großen Raum. Gleich neben der Tür lag mein Nachbar, dann ich neben Zetek, Swoboda. Adolf machte den Stubenältesten. Ich übernahm den ersten Stubendienst. Nachdem die Tschechen unsere Säcke und unsere Körbe durchwühlt und ihren Stempel beim Namensschild draufgedrückt hatten, brachten wir diese in die Baracke, wo Mama untergebracht war. Mamas schöner Fuchspelz ging verloren. Ebenso Papas Gamaschen und 1a Schuhe, Küchenwaage, Fleischwolf und ich weiß nicht was noch für Kleinigkeiten. Mama lag in der Stube, gleich neben dem Eingang zusammen mit der Frau vom Binder Schmied, seiner Tochter und Tante. Es war ein sehr sauberer Raum. Mama wurde mit der jungen Lehrerin Frl. Grete Rother und ihrer Freundin Ilse Ottemeyer bekannt. Ebenso mit Frau Arnheim, eine ältere Dame aus Berlin und Frau Renz mit ihrem Söhnchen Peterle aus Kleinpriesen. Sie alle kamen mit dem Transport aus Kleinpriesen. Frl. Rother ist eine Schlesierin. Frl. Ottemeyer hat ihre Eltern in Güstrow in Mecklenburg. Mama verstand sich sehr gut mit Frl. Rother.

Die Tage im Lager vergingen sehr schnell. 300 Seestadtler waren schon am Montag angekommen, darunter der Kassier Gürtler vom Hedwigschacht, Landrock und Fleischmann Magdalene aus der Zentralwerkstätte. Der Seestadtler Fritz Tomschi, mein Abteilungsleiter in der Zentralwerkstätte, war gerade aus dem KZ entlassen und nach hier gekommen. Fuhr dann nochmals nach Hause. Ob er mitkam ist mir unbekannt. Des weiteren kamen nach uns am Mittwoch noch Transporte aus Sporitz, Kleinpriesen, Komotau und mehrere Personen aus Schimberg (Herr Bayer), Kunersdorf und Eidlitz. Auch entlassene KZler.

Die Umzäunung mit Stacheldraht und die Postenbewachung machte niemanden traurig. Alle freuten sich nur noch auf das baldige Fortkommen. Das Essen war knapp. Wir halfen uns mit dem, was wir noch vorrätig hatten an Brot. Am Abend erfreute uns der aus dem KZ entlassene Zein Heger aus Kallich mit seinem Schifferklavier. Von den KZ-Männern spielte einer noch sehr schön Violine. Des weiteren einer Gitarre und Mandoline. In den Waschräumen haben Jüngere sogar nach der Mundharmonika getanzt, die der Rosenkranz Richard spielte.

Am Dienstag, den 9. Juli erhielten wir das Geld für die Einreise nach Deutschland. Pro Person nur 500 Reichsmark, der letzte Görkauer Transport erhielt noch 1000.- RM. In Görkau hieß es auch noch, wir kämen in die USA-Zone. Sollte dies nun wirklich nicht mehr stimmen? Noch glaubten wir fest an das Bayernland.

Am Mittwoch, den 10. Juli nachmittags mußte alles Gepäck außer dem Handgepäck aus den Baracken zum Weg gebracht werden. Etliche Fuhrwerke kamen und brachten das Gepäck waggonweise zu dem Bahngleis, das kurz vor dem Lager vorbei ging. In kurzer Zeit war das Gepäck draußen. Aber Waggons waren noch keine eingeschoben. Andere KZler aus dem Glashütte-Lager waren dort schon für das Einladen bestellt. Darunter war Richter Paul, der Bruder vom Steinmetz Richter Franz und der Herr Otto Hauser mit dem ich vor Jahren in der Zentralwerkstätte Kommern zusammen war. Er arbeitete damals in der Materialabteilung. Mit beiden hatte ich kurz sprechen können. Weil nun keine Waggons ankamen, mußten die Sachen über Nacht frei dort liegen bleiben. Schönfelder Franz blieb die Nacht über bei dem Gepäck, das für unseren Waggon 17 bereit lag. Ich schlief diese Nacht noch mit in dem kleinen Raum neben Vater.

Am Donnerstag, den 11. Juli morgens gegen 4 Uhr wurde im Lager Alarm gegeben:
"Alles aufstehen!" Alle Männer wurden aufgefordert, das Lager mit ihrem Handgepäck zu verlassen! Waggonweise aufgestellt, verließ nun der lange Zug Männer mit Koffern und Taschen das Lager zum Verladen des Gepäcks in die Güterwagen. Kurz nach dem Verladen kam die Kolonne Frauen mit Kindern an. Das Lager wurde leer. Aber noch am gleichen Tag sollten Evakuierte wieder eintreffen.

Noch etwas aus dem Lager. Lerch Ilse aus Pirken besuchte ich in der Krankenstation des Lagers. Sie sah sehr schlecht aus, schwach, Herzleiden und Nieren. Neben ihr lag ein Fräulein Neumann, die Tochter vom Neumann Gastwirt in Quinau. Die Eltern von Lerch Ilse, ihr Kind und ihre Schwester Trude waren auch im Lager.

Am Donnerstag um 11Uhr15 verließ der Transport mit 40 Waggons, unsere Görkauer waren in den Waggons 13-20, den Hauptbahnhof in Komotau.

Unser Güterwagen faßte 29 Personen. Als Waggonführer war Kunert Heinrich bestimmt. Somit befanden sich im Waggon der Waggonführer mit Familie und Schwester, Totzauer Edmund mit Frau, Totzauer Otto mit Frau und Stieftochter Dönnel Ilse, der alte Herr Ehrlich mit Frau und mit seinen zwei Töchtern, Irene Mikos und Charlotte Schmidt mit Kind, Herr Swoboda August mit Frau, Frau Rosenkranz mit ihren Söhnen Richard und Ludwig und Schönfelder Franz. Die Frau Schönherr, die bei Egermann wohnte mit zwei Kindern. Und eine Frau Hildebrand mit ihrem Sohn (Schwester von Formanek). Und unsere Familie. Wir lagerten in der einen Hälfte des Waggons zusammen mit Totzauer und Swoboda.

Noch einmal bewunderten wir unsere schöne alte Heimat, das schöne Gebirge, fuhren längs der Eger. Um 13Uhr15 rollten wir durch Karlsbad, weiter gegen Falkenau. Obwohl im Lager schon von Seiten der Tschechen behauptet wurde, es ginge in die russische Zone, waren wir noch immer im Glauben, bald im Bayernland zu sein. Als der Zug nun Eger liegen ließ und durch Franzensbad / Frantiskovy Lázne fuhr, wußten wir nun endgültig, daß es in die russische Zone ging. Wir fuhren durch bis Türschnitz / Tršníce, unser letzter Stop vor der deutschen Grenze (Abb.1 zeigt den Bahnhof von Tršníce im Jahre 2003). Hier wurde uns noch Kaffee und Brot zugeteilt. Wohl nur, damit man am ersten Haltepunkt nach der Grenze nicht von völlig Ausgehungerten sprechen konnte. Die versprochene Suppe konnten sie aber nicht austeilen, weil ein soeben abgefahrener Transportzug die Suppe erhalten hatte. Eine Stunde und 45 Minuten von 15Uhr40 bis 17Uhr30 war Aufenthalt.

Unser Transportführer, ein Görkauer, beruflich Elektriker, Herr Guttmann, erst aus dem KZ entlassen, machte seinen Dienst sehr gut. So gegen sechs Uhr abends fuhren wir über die Grenze. Meine weiße Armbinde ließ ich auf der Bahnstrecke zurück. Um 19Uhr30 waren wir in Bad Brambach (Abb. 2, der Bahnhof des sächsischen Staatsbads Bad Brambach im Jahr 2003) Hier war die Übergabe. Die böhmischen Posten rollten von hier mit Lok und Einzelwaggon zurück. Sie wurden von jemandem sehr "angenehm gegrüßt -- mit Nachtgeschirr". Hier gab es auch eine prima Waschgelegenheit. Überall sahen wir wieder deutsche Aufschriften. Uns war nun wieder viel wohler! Kurz nach 20 Uhr fuhren wir weiter über Adorf, Oelsnitz, Plauen, Werdau die Nacht durch nach Crimmitschau bis nach Altenburg in Thüringen.

Jetzt hieß es, wir würden in Thüringen bleiben. Auch dieses stimmte nicht!

Am Freitag, morgens um 9Uhr30 fuhren wir ab Altenberg in nordwestliche Richtung weiter und trafen um 11Uhr30 in Rehmsdorf ein. Hier kam ganz unerwartet der Befehl: "Waggons ausladen." Wir waren gerne dabei. Nun blieb aber das Gepäck am Bahnsteig liegen. Was wird noch geschehen? Von hier schrieben wir an Benno schnell ein paar Zeilen. -- Es wurden wieder andere Waggons (Personen- und Güterwaggons) vorgeschoben zum Verladen. Unser Waggon hatte Pech! Nur in einem halben Personenwaggon hätten wir unser Gepäck unterbringen können. Aber die Personen konnten nicht alle Platz finden. Totzauer Edmund und Swoboda kappelten sich deswegen auch ein wenig. Niemand wollte sich von den Sachen trennen. Schließlich bekamen wir es doch geregelt. Wir blieben mit den Familien Totzauer Edmund und Otto und Familie Swoboda bei den Sachen. Die anderen suchten einen freien Waggon. Brot und eine kleine Zuckerzuteilung gab es auch in dieser Station.

Um 16Uhr40 fuhren wir von Rehmsdorf ab. Der Transport wurde hier geteilt und kam erst in Zeitz wieder zusammen. Von Zeitz fuhren wir über die Vorstädte von Leipzig, Eilenburg nach Torgau. Nun sind wir doch sehr östlich gerutscht. Einen großen Bogen rollten wir. Am 13. Juli 1946 vormittags sind wir in Torgau gelandet.

Nun hieß es Endstation. Die Sachen wurden auf den Bahnsteig gebracht. Alle harrten auf gute Unterkunft im Lager. Erst nach mehreren Stunden kamen Autos und Fuhrwerke Während des langen Wartens holte ich mir durch einen Bahnpolizisten Auskunft über die Anschrift unseres neuen Aufenthalts. Nach Erhalt dieser Anschrift nutzte ich die Zeit zur Aufgabe eines Telegramms an Benno. Begab mich schnell in die Stadt zum Postamt. Das Telegramm lautete: "In Torgau Umsiedlerlager Brückenkopf (siehe Anm.1) eingetroffen. Bemühe Dich um unsere Zuzugsgenehmigung mit Stempel von Militärbehörde".

Danach verging noch sehr viel Zeit mit Warten. Papa ließ ich mit Omnibus in das Lager vorfahren. Sollte sich um Quartier kümmern. Auch Mama ließ ich mit einigen Frauen ins Lager gehen. Es war auch richtig so! Es regnete ja mehrmals und die Sachen aus den Waggons wurden ganz zum Schluß geholt.

Auf einem Lastwagen fuhr ich mit unserem Kleinod durch die Stadt, dann außerhalb über die Elbbrücke in das Lager, das gleich neben der Elbe, von einer schönen Straßenallee versteckt und starkem Mauerwerk umbaut, etwas tiefer lag. Das eigentliche Gebäude bestand aus mehr als 40 Räumen, die alle nach der Südseite, also nach der Stadt Torgau, ihre Fenster eingerichtet hatten.. Nach der gegenüber liegenden Seite waren die breiten Gänge und Flure mit Schießscharten. Das Gebäude stand mehr im Halbkreis mit drei großen Eingängen. Jedoch gab es keine Wasserleitung. Auf dem großen Hof, der vor dem Haus lag, waren zwei Pumpen, die aber kein Trinkwasser enthielten. Also mangelte es sehr an Wasser. Wascheinrichtungen gab es auch nicht. Die Stadt Torgau sei besonders arm an gutem Trinkwasser. Auf dem Hof war noch die Entlausungsanstalt und die Rote Kreuz Stelle. Wir erhielten den schönsten Raum -- Stube 01, wofür Papa sorgte. Nun wurde unter den Frauen beraten, wer macht den Stubenältesten. Es waren ja meist Frauen aus Görkau. Das Geschäft als Stubenältester mußte ich annehmen! Mikos Irene hatte ja alle dazu überredet. Wir waren die zweitstärkste Stube. 30 Personen. Meistens Görkauer. Die Familien Ehrlich 5 Pers., Kunert 5 Pers., Rosenkranz mit Schönfelder Franz 4 Pers. Wie ich es bereits erwähnt habe. Des weiteren Frau Neubert mit ihrem Sohn Horst und ihrer Mutter Frau Grünert, 5 KZ- Männer aus Komotau, Walter Josef, früher Briefträger in Görkau, Frank Rudolf (Kaufmann, schwerhörig), Mahner Richard, Michl Josef, Reichl Ludwig und die sehr komische Familie Franz Dietl aus Komotau.

Gleich am nächsten Morgen wurden alle Stubenältesten zu einer Unterredung mit dem Lagerführer, ein kleiner gemütlicher Mann, gerufen. Wir Stubenältesten wurden immer durch den Gongschlag einer angebrachten Kartusche bei der Wachstube, gleich neben dem Toreingang, zusammengerufen. Der Lagerführer machte uns auf das weiter umliegende Gelände aufmerksam, das von Sprengkörpern und dgl. noch nicht rein sei. Wir hätten hier unsere Quarantänezeit, die 2 Wochen dauern wird, durchzumachen, falls keine Krankheit aufkommt. Während dieser Zeit habe sich niemand vom Lager zu entfernen. Tag für Tag gab es oftmals Bekanntgaben, die den Stuben durch ihre Ältesten mitgeteilt wurden. Adolf hatte sich gleich für den Dienst in der Wachstube umgesehen. Nun wollte der Lagerführer auch drei Mann und zwei Frauen, die in der Lagerküche mit die Aufsicht übernehmen könnten. Bestimmt wurden für diesen Dienst als Lagerordonnanzen Kaufmann Wildtner aus Görkau, Herr Swoboda und ich. Bei den Frauen die Gattin vom Binder Schmied und die Frau vom Siegert Ferd aus dem Töltschtal. Bei der Verpflegungsausgabe sollten mir Spiegel Josef und Herr Bauer, ein feiner Kerl aus Görkau, behilflich sein. Ich ließ die beiden Herren Wildtner und Swoboda in der Küche allein walten, weil sie sich darum besonders annahmen. Der Spiegel Seff begab sich gleich in die Küche als Aushilfe. Mit seinem weißen Käppchen am Kopf sorgte er feste für sich. Deswegen machte er sich im Lager nur verhaßt. Ich weilte meist nur bei der Verpflegungsausgabe mit Frau Binder und Bauer. Frau Siegert gab nach einigen Tagen schon wieder auf. Es war Brotausgabe: pro Person 300g, einige Male Marmelade, Zucker, Butter, Schmierseife.

Die Tage vergingen mitunter sehr schnell. Das Essen war nicht zu besonders. Mama mußte immer noch etwas kochen. Alle wurden untersucht. Auch entlaust wurden wir, wo doch vom Lager fast niemand Ungeziefer hatte. Ich ging, wie viele von uns, nur im Badehöschen. Es hieß ja auch, nur in alter Kleidung kommen. Auch wurden wir in gewissen Zeitabständen 3x geimpft gegen Typhus: 1/2, 1,1.

Die Familien Blum, Swoboda, Seifert Anton lagen in Stube 5. Köllner Schmied, Binder Schmied als unsere Nachbarn in Stube 1. Blum Erna mit Neubert Bertl verrichteten den Kanzleidienst mit. Hinter dem Festungsbau war wieder freies Gelände mit Baracken, in denen auch Görkauer wohnten. Sparkassendirektor Pietzsch, Dentist Perner, Ulm Franz, Jansche, Zetek, Wildner. Auch die Lagerküche und ein Gefolgschaftsraum waren in Baracken ausgebaut. Am Sonntag, den 20. Juli 1946 geschah auch noch ein Unglück im Lager. Während ich in unserer Stube war, mußte ich einen sehr nahen, dumpfen Knall vernehmen, wie von einer Panzerfaust. Es war gegen 15 Uhr. Gleich wurde im Lager bekannt, daß etwas vorgefallen sei. Wirklich. Ein 13jähriger Junge namens Walter Geier aus Kleinpriesen wurde tot aufgefunden, gleich nach dem Knall. Er hatte mit dem Rohr einer Panzerfaust, das nicht weit von den Baracken lag, gespielt, es ungeschickt vor sich gehalten. Er war sofort tot. Die Leiche konnte ich am Unfallort noch sehen. Es war alles aufgerissen, zum Teil auch der Rücken. Die Sporthose, die er nur anhatte, brannte noch. Nachdem die Polizei alles aufgenommen hatte, wurde die Leiche in das Lagermagazin gebracht, bis die Bestattungsanstalt mit ihrem Wagen die Leiche in den darauffolgenden Tagen abholte. Am Mittwoch, den 23. Juli war die Beerdigung. Mitkommen durften nur die Angehörigen und wenig Bekannte aus diesem Ort. Transportführer Guttmann rief alle Stuben zu einer freiwilligen Spende für Kränze und für (die) Beerdigungskosten der Eltern auf. Meine Stube als stärkste auch, sammelte 21.- RM. Vom Lager waren insgesamt nur 473.- RM gesammelt worden.

Obwohl es nicht sein sollte, ging doch bereits das halbe Lager durch einen hinteren Ausgang schwarz in die Stadt. Ich mit meiner Funktion wollte es den Stuben nicht noch vormachen und blieb deshalb immer zu Hause. Nun wurde kurz vor unserem Verlassen des Lagers bekannt, in der Stadt würde ein schöner Farbfilm mit Hans Albers gezeigt werden. Den wollte ich sehen. Auch Adolf mit Frau, Tante Berta und Erna gingen und bekamen Loge, wogegen ich und Mikos Irene sowie ihre Schwester Schmidt nur noch Plätze in der ersten Reihe erhielten. Es war ein gut ausgebautes Kino. Der Film wurde in Hamburg gedreht.

Reichl Rudi, in Bitterfeld wohnhaft, besuchte einige Male Familie Blum. Auch Onkel Blum Rudolf kam von Rübenau zu Besuch. Einen Brief von Erika hatte er auch für Zein Heger, der sich sehr freute. Auch Angehörige vom Steiger Fritz, seine Frau, Frau vom Baldauf Schuster und die Baldaufs aus unserer Gasse, Herr Pokorny, Familie Semisch der Blinde besuchten das Lager.

Nun nahte die Zeit unseres Abschieds vom Lager. Herr Zein rückte Freitag gleich ab ohne Papiere. Viele hatte Zuzugsgenehmigungen für Orte bei Bekannten in der russischen Zone erhalten und konnten abdampfen. Von den fünf KZ-Männern in meiner Stube hatte jeder seine Genehmigung. 50 Familien meldeten sich auch für das Erzlager in Eisleben. Aus diesem Betrieb hielten zwei Herren die Freiwilligen in einer Liste fest. Wir selbst waren auch schon vorgemerkt, ließen uns aber wieder streichen. Es meldeten sich: Kunert Heinrich, Köllner Schmied, Binder Schmied, Zetek, Spiegl Josef, Herr Bayer aus Schimberg.......

Sonnabend, der 27. Juli war da. Personen, die für die Bahnstation Falkenau bestimmt waren, wurden aufgerufen, sich für den Abtransport bereit zu machen. Auch Familie Ehrlich wurde schon am Sonnabend zum Bahnhof gebracht. Gegen Mittag auch die beiden Damen Grete Rother und Ilse Ottemeyer. Ich war bei der Ausgabe für die Marschverpflegung. Auch noch am Sonntagmorgen bis zu unserem Abmarsch zum Bahnhof. Da nun am Sonnabend nicht genügend Fahrzeuge eingesetzt werden konnten, war Falkenau auch Sonntagmorgen noch immer aktuell. Mir war unser Bestimmungsort Lauchhammer seit einigen Tagen bekannt. Familie Blum sollte auf ein kleines Dorf unweit von Elsterwerda kommen. Sie hatten ihre Papiere jedoch auf Elsterwerda ändern lassen. Ebenso Familie Swoboda. Warum wir nicht? Auch ich bat die Schreibstube um Änderung nach Elsterwerda, nachdem wir schon unsere Papiere d.h. Flüchtlingspaß, Gesundheitszeugnis und den Einweisungsschein nach Lauchhammer in Händen hatten.


Hier endet der überlassene Bericht, der von Benno Mann und Rudolf Jansche stilistisch geringfügig, nicht aber inhaltlich überarbeitet wurde.