Kaitz

Ortsbeschreibung und Geschichte





Unser Heimatdörfchen Kaitz gibt es seit 1979 nicht mehr. Es ist untergegangen im Stausee zwischen Görkau und dem großen Kohle-Tagebau westlich von Brüx / Most am Fuße des böhmischen Erzgebirges.
Aber in der Erinnerung der ehemaligen deutschen Bewohner besteht und lebt es weiter, denn zahlreiche Menschen nennen dieses Dorf ihren Heimats- und Geburtsort. Auch die Nachkommen, Kinder und Enkel werden immer wieder an diesen Namen erinnert. Wenn sie die Familiendokumente ansehen und den Stammbaum ihrer Vorfahren betrachten, so steht dort mehrfach: geboren in Kaitz.
(Vermerk: es gibt auch einen Stadtteil von Dresden mit gleichem Namen)

Wo lag es denn nun, dieses Dorf mit dem Namen: Kaitz - (seit 1945 auf Tschechisch: Kyjice) in Böhmen, im Sudetenland?
Heutzutage könnte man auf einem Navigationsgerät die folgenden Koordinaten einstellen und zum Schnittpunk fahren:
N (Y) 50°30′ 7.308′′ - O (X) 13°28′ 54.345′′ oder 50.50 000 - 13.48333
Im Internet (Google Earth) kann die genaue Lage des Dorfplatzes von Kaitz ebenfalls festgestellt werden. Bei "www.mapy.cz" lassen sich auch historische, österreichische Landkarten von 1850 finden.
Doch das Dorf selbst kann man nicht mehr erreichen, denn es liegt heute zur Hälfte unter Wasser, abgerissen im Stausee (tschechisch: Vodní nádrž Újezd), der östliche Teil wurde völlig zerstört. Der aufgeschüttete Damm, der etwa in Höhe der alten Bielabrücke verläuft, ist 14 m hoch und 1,8 km lang. Über die 9 m breite Dammkrone führt die Straße von Wurzmes nach Hohenofen. Fährt man heute mit dem Auto auf der neuen Schnellstraße 13 (E442) von Komotau / Chomutov in Richtung Brüx / Most, so fällt nach der Ausfahrt Görkau / Jirkov rechts die große Eisenbahnbrücke auf. Dahinter ist der Ojes-Kaitzer Stausee zu sehen.

Auf alten Land-, Straßen- und Wanderkarten ist Kaitz etwa 3 Kilometer östlich von Görkau an der Bezirksstraße nach Brüx eingezeichnet. Zunächst erreichte man das Dörfchen Ojes, welches etwas abseits der Straße lag und mit Kaitz zeitweise zu einer "Katastralgemeinde" zusammengeschlossen war.
Kaitz befand sich auf einer Seehöhe von 270 m. Der Kataster (Grundfläche der Gemeinde) hatte ein Ausmaß von 337 ha.
An der Brüxer Straße, kurz nach der Seifert- oder Ojesmühle, lag das alte Kaitz, welches 1553 infolge einer Pestepidemie entvölkerte wurde.
Erreichte man zu Fuß, mit einem Pferdefuhrwerk oder mit dem Autobus von Görkau kommend an der linken Straßenseite die ersten Häuser von Kaitz, so ging es danach scharf links herum und etwas bergab. Rechts befand sich der Dorfplatz mit der Kapelle; dann überquerte man die Biela auf einer steinernen Brücke und kurz danach führte diese Straße in einer Rechtskurve wieder aus dem Dorf hinaus in Richtung Neudorf a. d. Biela. Der abzweigende Weg nach Südosten führte nach Wurzmes und auf dem ebenfalls unbefestigten Weg nach Norden kam man nach Hohenofen, dem Erzgebirge entgegen.

Am Rande des Dorfplatzes, unterhalb des Teiches stand die Dorfkapelle. Sie hatte einen Dachreiter mit zwei kleinen Glocken, mit denen zu Andachten und zu festen Tageszeiten geläutet wurde. Geweiht war die Kapelle der Hl. Dreifaltigkeit; der Altar stammte von 1815. Eine Kirche und eine Schule gab es in Kaitz nicht; nur einen Kindergarten. Zum sonntäglichen Gottesdienst (Hl. Messe) gingen die Dorfbewohner nach Görkau in die St. Ägidius Kirche. Dort wurden Ehen geschlossen und Kinder getauft. Christliche Feste und Traditionen fanden ihre Höhepunkte in Görkau. Auch die Bürgerschule wurde in Görkau besucht. Ebenfalls war der Friedhof in Görkau. Bis dorthin hatten Kinder und Erwachsene jeweils einen Fußmarsch von 45 Minuten zu leisten. Allerdings konnte man auch mit dem Autobus fahren. Kaitz hatte seit 1895 eine eigene freiwillige Feuerwehr mit einem Spritzenhaus und dem Steigerturm.
Das "elektrische Licht" kam erst in den 1920er Jahren nach Kaitz. Die zwei Fabriken (Watte und Keramik) hatten eigene Energieversorgungen mit Dampfturbinen. 1929 erhielt Kaitz eine zentrale Wasserleitung.

Die Bewohner des Dorfes befaßten sich zum Teil mit Landwirtschaft und bauten vor allem Getreide an. Einige der Häusler waren Fabrikarbeiter in Kaitz oder in Görkau. Andere arbeiteten als Handwerker oder waren Gewerbetreibende (Müller); mehrere gingen als Bergarbeiter in den "Schacht" nach Seestadtl, um ihre Familien zu ernähren. In Kaitz gab es neben den Gastwirtschaften (Bergner und Zum Tiroler) auch einen Kolonialwarenladen, eine "Trafik" (Tabakwaren), einen Friseur und einen Milchladen. Zu größeren Einkäufen, zum Arzt oder in die Apotheke ging man auf dem "Steig" nach Görkau oder fuhr mit Bus oder Bahn sogar bis Komotau. In beide Städte mußte man auch zu verschiedenen Verwaltungsämtern, zum Rathaus, zur Sparkasse, zur Post, zum Photographen und ins Kino, aber auch, wie erwähnt, zum Friedhof.
Kaitz war auch geprägt von mehreren Wassermühlen und einem Netz an Mühlgräben, die durch verschiedene "Abschläge" verbunden waren und mit denen der Wasserbedarf für die Mühlen von der Biela aus geregelt wurde.
Häusler und Bauern waren zu einem gewissen Teil Selbstversorger. In den Hausgärten wuchsen Gemüse und Obst. Kleintiere, wie Kaninchen, Hühner, Enten, oder Gänse hatte fast jeder Haushalt. In der kalten Jahreszeit heizte man die Wohnungen meistens mit der lose angelieferten, fast wie Steinkohle glänzenden, Braunkohle aus den nahen Schächten. Aber auch im Sommer ging kaum ein Herd aus, denn man brauchte diesen zum Kochen und zur Warm-Wasser-Aufbereitung mittels "Wasserpfanne". Im Winter gab es reichlich Schnee, die Sommer waren heiß und trocken. Die Hausfrauen halfen bei der Ernte und an der Dreschmaschine, die durch einen "Dampfer" (fahrbare Dampfmaschine) angetrieben wurde.

Am nördlichen Ende von Kaitz stand das Bahnwärterhaus, an dem die Eisenbahnlinie von Görkau über Oberleutensdorf nach Bodenbach vorbei führte. Von dort hatte man einen freien Blick ins Erzgebirge. Blickfang war, damals wie heute, Schloß Rothenhaus, eingefaßt vom Grün des Bergwaldes. Oberhalb von Türmaul, Hohenofen und Schimberg lagen - und dort liegen sie noch heute - der Tannich mit 847m und der Seeberg. Der höchste Punkt des böhmischen Erzgebirges ist an dieser Stelle der Bernstein mit 917m.
Äcker, Streuobstwiesen und mit Obstbäumen gesäumte Straßen rundeten das Bild der Umgebung von Kaitz ab. Nach Süden zog sich das flache Land des Böhmischen Beckens hin; östlich konnte bei guter Sicht das Böhmische Mittelgebirge ausgemacht werden. Heute ist diese Landschaft weitestgehend durch den Bergbau und die neuen Verkehrswege zerstört.
Nähere Einzelheiten des Ortes zeigt der Dorfplan, der im Jahre 2009 durch die Kaitzer Ortsbetreuerin, Anna Müller, geb. Münchenbach, von Hand neu gezeichnet worden ist (siehe Dorfplan - Kaitz). Sie hat ebenfalls eine Beschreibung der Häuser und Bauernhöfe mit ihren letzten deutschen Besitzer angefertigt. Dafür gilt ihr herzlicher Dank und eine besondere Anerkennung. (siehe Einwohnerliste).

Zur Geschichte von Kaitz sei hier folgendes festgehalten: Über die Entstehung von Kaitz existieren keine direkten Quellen. Es ist nur bekannt, daß dieser Ort durch den allmählichen Zusammenschluss dreier alter Siedlungen entstand. Der Ort Kaitz wird zum ersten Mal in den Unterlagen des Wiener Staatsarchivs als Lehngut der Burg Schlossberg angegeben (1383). In den Urkunden aus den Jahren 1417 und 1449 ist Kaitz als ein Teil von Kieferburg, heute Rothenhaus, angegeben. Die Benennung Kaitz wurde wahrscheinlich aus dem männlichen Personennamen Kai abgeleitet, also das Dorf der Kaitzer Leute.
Ende des 14. Jahrhunderts wird von einer Wasserfeste berichtet, was durch Archäologen bestätigt wurde, die um 1978 den Untergrund für den heutigen Stausee untersucht hatten. Das Kaitzer Gut (Meierhof) wechselte mehrmals seine Besitzer. Einmal gehörte es zu Neudorf, dann zu Rothenhaus, zuletzt zum fürstlichen Gut Lobkowitz.

Zu Kaitz sind folgende Einwohnerzahlen und Häuser bekannt:
Jahr Einwohner Häuser
1847 247 36
1869 242 39
1880 242 45
1890 304 48
1910 400 70
1921 420 70
1930 511 91
1939 580 100
1970 20 tsch. Neusiedler 78

Im Jahre 1850 wurde Kaitz mit Ojes zusammengelegt. Ab 1869 gehörten beide Orte zu Görkau. Nach 1938 wurde Kaitz mit Ojes wieder eine eigenständige Gemeinde im Landkreis Komotau; Bürgermeister war Karl Loos, zuletzt Eduard Marka.

Nach der Vertreibung der Deutschen Bevölkerung 1945/46 wurden in Kaitz Tschechen aus dem Inland angesiedelt. Diese übernahmen die Häuser und Anwesen mit dem gesamten Inventar. Beide Orte kamen 1960 zu Wurzmes.
Kurze Zeit vor dem Abriss der Gemeinde Kaitz in den 1970er Jahren und der Überflutung wurden alle drei steinernen Sühnekreuze, die Staue des Hl. Johann v. Nepomuk, sowie das große steinerne Wegkreuz (Kruzifix) nach Wurzmes übertragen. Über diese steinernen Zeugen und das Aussehen des Dorfes kurz vor dem Abriß gibt es einen kurzen Amateurfilm im Internet:
www.youtube.com/watch?v=auLzCXVfAwY
Nach der Überflutung ist Kaitz / Kyjice 1980 aus dem Ortsregister amtlich gelöscht worden. Der Ort wird nur noch als "Vodní nádrž Újezd / Kyjice" (Stausee Ojes / Kaitz ) erwähnt.

Im Zweiten Weltkrieg gab es in Kaitz bei Luftangriffen keine Schäden und Todesopfer. Lediglich einige Bomben, die das Hydrierwerk Maltheuern treffen sollten, fielen auf die Felder nördlich des Dorfes. Im Krieg selbst (man sagte: an der Front) sind jedoch mindestens 25 Männer von Kaitz gefallen. Ihnen wurden Birkenkreuze am Kriegerdenkmal gewidmet. (siehe Liste der Gefallenen).
Nach der "Befreiung" durch die Sowjetarmee und bei der Machtübernahme durch die tschechischen Behörden wurden mehrere Männer von Kaitz verhaftet und mindestens zwei von ihnen kamen im Lager "Glashütte" in Komotau um.
Kurz darauf begann die Vertreibung der gesamten Bevölkerung von Kaitz. Es handelte sich ausschließlich um Deutsche; Tschechen gab es in diesem Ort bis 1945 sehr wenige. Die erste große Vertreibungsaktion fand am 30. August 1945 statt. Früh 6:00 Uhr erging der schriftliche Befehl. Mit maximal 25 kg Handgepäck pro Person, aber ohne jegliche Wertsachen, mußte innerhalb einer Stunde das Haus verlassen werden. Damals betraf es etwa jedes zweite Anwesen im Dorf. Angetrieben durch bewaffnete tschechische Milizen mußte sich eine Kolonne von Kaitzer Einwohner - es waren nur Frauen, Kinder und alte Leute - zum Sammelplatz in Görkau bewegen. Nach speziellen Kontrollen, persönliche und wertvolle Dinge betreffend, ging es weiter zum Bahnhof. Dieser Transport erfolgte in offenen Güterwagen bis zur sächsischen Grenze nach Reitzenhain. Von dort mußte man sich selbst weiter helfen. Einige Familien kamen nach Sachsen-Anhalt. Die restliche Bevölkerung von Kaitz wurde 1946 vertrieben. Davon sind mehrere Familien nach Westdeutschland gekommen. In fast allen Familienverbänden gab es große und weiträumige Trennungen, die bis heute schmerzlich nachwirken.
Soviel zur Geschichte.

Die Zeitzeugen möchten die Befehlshaber und die Ausführenden der Vertreibung fragen: War es wirklich nötig, die gesamte deutsche Bevölkerung 1945/46 aus der seit Jahrhunderten angestammten Heimat zu vertreiben? War es nötig, die Städte und Dörfer mit der sie umgebenden Kulturlandschaft, die durch deutsche Siedler aufgebaut worden waren, verfallen und veröden zu lassen oder sie dem Erdboden gleich zu machen?

Diese kurze Beschreibung von Kaitz und die angefügten Fotos (Fotogalerie) mögen dazu beitragen, daß das kleine Dorf und die Menschen, die dort geborenen wurden und dort lebten, nicht vergessen werden. Weitere Hinweise zu Kaitz und eine Beschreibung in etwas anderer Form, auch mit Fotos vom Abriss, findet man auf der Internetseite des Kreises Komotau: www.komotau.de.                                                                                                        
erstellt im November 2011

Für Hinweise und Korrekturen ist der Verfasser dankbar.
 
Jürgen Schmidt, aus Ojes Nr. 1   (Ortsbetreuer von Kaitz-Ojes seit April 2015)

Ferdinand-Freiligrath-Str. 20, 01454 Radeberg

e-mail: schmidt.j-goerkau@t-online.de

 Quellen: Ortsgeschichte Kreis Komotau von Walter Kult
Aufzeichnungen von Ortsbetreuerin Anna Müller, geb. Münchenbach, - verstorben  am 23. 2. 2021 im 97. Lebensjahr
und von anderen Zeitzeugen
Helmut Mürling, Webmaster von www.komotau.de
Pavel Beran, www.zanikleobce.cz
Gerhard Stübiger, Begegnungszentrum Komotau / Chomutov
Fotos: Anna Müller, Jürgen Schmidt, Komotauer Zeitung und Heimatarchiv Erlangen